«Eine gute Bewerbung ist wie ein Gourmet-Menu»: Im Interview mit Lina Bitzer

Wer ist Lina Bitzer?

Die NewPlacement Academy ist eine Organisation, die Personen bei der beruflichen Neu- und Umorientierung professionell unterstützt. Sie begleiten seit über 7 Jahren Menschen in beruflichen und persönlichen Veränderungsprozessen sowohl im Gruppen- als auch im Einzelsetting. NewPlacement Academy führt vier Bildungszentren in Zürich, Bern, St. Gallen und Brugg, beschäftigt 55 Mitarbeitende, welche jährlich bis 7000 Stellensuchende begleiten.

Meine Interviewpartnerin Lina Bitzer ist eine von drei Geschäftsführenden der NewPlacement Academy und Verantwortliche der HR-Abteilung. Sie ist seit 13 Jahren mit Herzblut in der Arbeitsmarktintegration tätig. Da sie ihr Team selber rekrutiert, ist es ihr sehr wichtig, die Arbeitsrealität ihrer Mitarbeitenden genau zu kennen. Deshalb übernimmt sie immer wieder auch die Rolle als JobCoach und führt Kurse, Module und Coachings in den verschiedenen Bildungsinstitutionen selber durch. Dadurch kennt sie beide Seiten seit vielen Jahren aus erster Hand: die der Jobsuchenden und die der Personaler.

«Was zählt, ist der Wow-Effekt»

Janine: Frau Bitzer, können Sie erläutern, was Ihrer Meinung nach eine gute Bewerbung ausmacht?

Lina Bitzer: Aus der Sicht von HR muss eine Bewerbung vor allem eines sein: nachvollziehbar und glaubwürdig. Das ist zentral. Für Bewerbende ist es unerlässlich, den Arbeitskontext von Recruitern immer im Hinterkopf zu haben.

Ein Recruiter hat sehr wenig Zeit und bestimmte Vorgaben, um ein Dossier zu checken. Es ist kein Lektorat, keine tiefgründige Analyse, die er/sie durchführt, sondern der erste Eindruck zählt. Ich schätze, dass ich durchschnittlich 30 Sekunden bis wenige Minuten benötige, um zu erkennen, ob die Person das mitbringt, was wir verlangen. Der Wow-Effekt sollte da sein, wenn ich eine Bewerbung betrachte.

Janine: Können Sie den Wow-Effekt näher erläutern?

Lina Bitzer: Der Effekt entsteht, wenn ich finde, dass ein CV optisch ansprechend ist und sauber daherkommt. Hier geht es in einem ersten Moment einfach um die Gestaltung sowie auch um die Beschriftung und Anzahl der Attachments. Der Lebenslauf sollte nicht zu überladen sein mit Formen, Farben und Infos. Alles muss in sich einen stimmigen Eindruck machen. Auch das Foto sollte ansprechend sein und Sympathie erwecken.

Ausserdem müssen aus HR-Sicht die relevanten Informationen sofort ersichtlich sein. Zentral ist dabei der Bezug zum Inserat. Dass sich Bewerbende mit der Stelle wirklich auseinandergesetzt haben, muss im CV ebenfalls unbedingt erkennbar sein. Der Zusammenhang zwischen der Person und der ausgeschriebenen Stelle sollte sofort herausstechen.

Janine: Wie verdeutlicht man das als Stellensuchender am besten?

Lina Bitzer: Bevor man eine Bewerbung verfasst, sollte man sich selbst fragen: Was ist wichtig und was wird im Inserat verlangt? Und nicht nur: Was habe ich zu bieten? Warum sollte ein Unternehmen für Kompetenzen bezahlen, die gar nicht verlangt sind? Umso weniger, wenn auf der anderen Seite die gewünschten Fähigkeiten für die Stelle fehlen. Wenn ich also mehr biete als verlangt, sollte ich schon den Mehrwert für das Unternehmen erkennbar machen, um nicht Gefahr zu laufen, als «überqualifiziert» abgelehnt zu werden.

Thematischer statt linearer Lebenslauf

Janine: Wie kann man relevante Informationen für einen Personaler am besten ersichtlich machen?

Lina Bitzer: Die erste Seite des CVs ist absolut entscheidend. Die wichtigsten Infos müssen deshalb auf die erste Seite. In Bezug auf die Länge des Lebenslaufs sollte man die gängigen Standards (z.B. höchstens 2 Seiten) vergessen, denn sie sind nicht unbedingt zielführend. Diese Standards stammen aus einer Zeit, in der die Biographien noch linear waren und sie funktionieren in der Regel, wenn man den linearen Weg weiterführen möchte.

In der heutigen Zeit haben wir jedoch viel mehr «Mäander-Biografien» mit unterschiedlichen Berufserfahrungen, Unterbrüchen, Aus- und Weiterbildungen, also immer weniger lineare Lebenswege. Die Berufsbiografien sind heute oft vielfältig und nicht immer «selbstredend». Wenn der Lebenslauf stur linear dargestellt wird, ist die Motivation oder der Werdegang für andere möglicherweise nicht mehr sofort nachvollziehbar. Bedarf also der Klärung oder wirft schon beim Lesen Fragezeichen auf. Deshalb ist die Überlegung sinnvoll, wie ich die eigenen Kompetenzen für einen bestimmten Job am besten und nachvollziehbarsten sichtbar machen kann. Was ist denn für diese Stelle entscheidend? Was weniger? Das kann zur Folge haben, dass z.B. stellenrelevante Erfahrungen hervorgehoben und gebündelt, weniger wichtige gekürzt werden.

Janine: Wie können die wichtigsten Kompetenzen für eine Stelle im Lebenslauf konkret sichtbar gemacht werden?

Lina Bitzer: Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, nach Branchen und Funktionen, nach Inland- und Auslanderfahrung zu gruppieren. Wichtig bei der Gruppierung ist, dass es Sinn macht sowohl für meine Biografie als auch für meine Suchbereiche (=gewünschte Stellen). So ist es auch, ganz pragmatisch gesehen, einfacher, Berufserfahrungen und -ausbildungen mit der Copy-Paste-Taste zu verschieben. Mit einem stellenbezogenen Kurzprofil und einer veränderten Reihenfolge der Themengruppen kann ich rasch aus einem CV mehrere machen. Diese Art von CV nennen wir einen thematischen Lebenslauf.

Treffen Sie zudem eine Auswahl an Aus- und Weiterbildungen, welche für diese bestimmte Stelle relevant sind. Je älter wir werden, desto mehr haben wir in der Regel davon. Gehen Sie strategisch vor und stellen Sie sich dabei folgende Fragen: Was ist für die Stelle wichtig und muss hervorgehoben werden? Was fasse ich zusammen? Was kann ich sogar getrost weglassen?

Wenn ich nun eine verlangte Fähigkeit nicht bieten kann, kann ich versuchen, ein Angebot zu machen. Das heisst: nachfragen, ob die Anforderung wirklich entscheidend ist für die Stelle oder ob es reicht, wenn ich eine andere, ähnliche Kompetenz vorweisen kann. Falls eine Weiterbildung / Erfahrung ein absolutes must ist und es vielleicht sogar bereits in der Stellenbeschreibung steht, dann sollte ich es auch wirklich mit der Bewerbung sein lassen. Ansonsten ist es nicht nur für Recruiter mühsam, sondern es bedeutet auch für mich eine garantierte Absage, die nur frustriert.

Vom Einheitsbrei zum Gourmet-Menu

Ein Inserat schalten ist vergleichbar mit einem Restaurantbesuch. Gäste gehen in ein Restaurant, um eine bestimmte Mahlzeit zu essen. Wenn der Koch oder die Köchin seine/ihre Arbeit gut macht, erhalten die Gäste, was sie bestellt haben. So ähnlich verhält es sich mit dem Inserat. Man macht als Recruiter sozusagen eine Bestellung. Im Inserat steht, was verlangt wird und welche «Zutaten» nötig sind. Viele Bewerbende schauen aber, was sie in der Küche haben, also über welche Fähigkeiten sie verfügen, und stellen dann ein «Gericht» (also Lebenslauf) anhand dieser Fähigkeiten zusammen. Sie machen daraus ein «Einheitsmenu» für alle Unternehmen, oder um die Metapher des Restaurants weiter zu führen, dasselbe Gericht für Vegetarier, Allergiker, Fleischesser etc., anstatt ein genau der Bestellung entsprechendes Gericht. Danach wundern sie sich, warum die Gäste nicht wieder kommen.

Es ist sinnvoll sich also zuerst zu überlegen, was «bestellt» wurde. Merke ich dann, dass mir etwas in der «Küche» (=Kompetenzen) fehlt, muss ich in den Dialog treten und nachfragen, ob ein Ersatz in dieser oder jener Form auch interessant wäre für das Unternehmen. So wie es der Küchenchef/die Küchenchefin auch mit den Gästen macht. Restaurants tischen ihren Gästen nicht einfach irgendetwas auf, nur damit sie nicht verhungern, sondern erkundigen sich nach ihren Wünschen, wenn z.B. eine Speise ausverkauft ist.

Lesen Sie jetzt den 2. Teil unseres Interviews mit Lina Bitzer, wo es um das Personalisieren der Bewerbungsunterlagen geht! Im 3. Teil der Interview-Reihe wird erklärt, wie man aus dem Teufelskreis der Absagen ausbrechen kann.

Zur Person Lina Bitzer

Frau Bitzer hat ursprünglich eine KV-Lehre absolviert und nach der Zweitweg-Matura Sprachwissenschaften (Italienisch) und Sozialwissenschaften (Sozialpädagogik und Sozialpsychologie) studiert. Beruflich war sie in diversen Branchen (u. a. Industrie, Dienstleistung, Airline, Bildung, Soziales) und Funktionen tätig. Der rote Faden sieht sie selber in der Arbeit mit Menschen in Krisensituationen. Über die Anstellung als Personalberaterin hat sie den Weg in die Arbeitsmarkt-integration und HR gefunden. Sie hat sich schliesslich im Bereich HR, Erwachsenen-bildung und Management weitergebildet. Lina Bitzer hat mit ihren Geschäftspartnern vor 8 Jahren die NewPlacement Academy gegründet und aufgebaut. Sie ist ausserdem Mutter von zwei Kindern. Zudem bekocht sie gerne ihr Team, wenn es zeitlich passt.

7 Antworten zu ««Eine gute Bewerbung ist wie ein Gourmet-Menu»: Im Interview mit Lina Bitzer»

  1. […] dass der Lebenslauf die Anforderungen im Stelleninserat widerspiegelt. Erstellen Sie daher einen thematischen Lebenslauf, damit die wichtigsten Infos für die Stelle auf der ersten Seite […]

  2. […] Aktualisieren und die personalisieren Sie Ihre Bewerbungsunterlagen. Lesen Sie dazu unsere Interview-Reihe mit HR-Expertin und Jobcoach Lina Bitzer. […]

  3. […] Sie eine richtig gute Bewerbung schreiben und einen Recruiter von sich überzeugen, erklärt Lina Bitzer, HR-Verantwortliche und in der Geschäftsleitung der NewPlacement Academy. Bewerbungsratgeber […]

  4. […] Nachteil: Sie sind nicht individuell genug. Und Personaler stehen überhaupt nicht auf ein solches „Einheitsmenu“. Natürlich reicht es manchmal nicht, nur ein paar Bewerbungen zu verfassen. Wenn aber bereits auf […]

  5. […] zweiten Teil unserer Interview-Reihe mit Lina Bitzer, einer von drei Geschäftsleitenden der NewPlacement Academy und Expertin in den […]

  6. […] Es gibt jedoch Strategien, die helfen können, daraus auszubrechen. Der dritte Teil aus unserer Interview-Reihe mit Lina Bitzer, einer von drei Geschäftsleitenden der NewPlacement Academy und Expertin in den […]

  7. […] Sie Ihren Lebenslauf für jede einzelne Bewerbung anpassen. Das geht zum Beispiel gut mit einem thematischen Lebenslauf. Überarbeiten Sie auch das Layout, wenn das Alte nicht mehr zu Ihnen passt. Nehmen Sie sich für […]